Lohnentwicklung in Südtirol und Italien

ASGB: Stellungnahme zu den Thesen von Professor Gottfried Tappeiner zur Lohnentwicklung in Südtirol und Italien

In einem Interview mit den „Dolomiten“ äußerte Professor Gottfried Tappeiner die Ansicht, dass stagnierende Löhne in Südtirol und Italien auf die mangelnde Stärke der Gewerkschaften zurückzuführen seien. Alex Piras, Vize-Vorsitzender des Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbundes (ASGB), tritt dieser Behauptung entgegen und beleuchtet stattdessen andere wesentliche Faktoren, die zu dieser Situation geführt haben.

Piras nimmt Bezug auf eine Aussage von Tappeiner, in der er erklärt, er habe von einem Unternehmer erfahren, dass alle Kosten gestiegen seien, außer den Löhnen. „Dies ist durchaus glaubwürdig“, so Piras. Der Grund sei jedoch in erster Linie auf der Arbeitgeberseite zu suchen. Trotz proaktiver Vorschläge der Gewerkschaften für lokale Lohnerhöhungen zögern viele Arbeitgeberverbände, diese umzusetzen. Die Gründe seien fadenscheiniger Natur: „Man will zuerst den Abschluss nationaler Kollektivverträge abwarten, bevor man provinziale Lohnelemente verhandelt. Oder man argumentiert, dass individuelle Lohnverhandlungen zielführender seien“, so der ASGB-Vize, der diese Verzögerungstaktik der Arbeitgeberverbände als wesentlichen Faktor für die Lohnstagnation ausmacht. Manche Teile der Wirtschaft denken hier viel zu kurzfristig.

Piras belegt die zögerliche Bereitschaft vieler Arbeitgeber, höhere Löhne auszuzahlen, mit Erfahrungen, die während des jüngsten Streiks kurz vor Weihnachten 2023 gemacht wurden. Er betont, dass einige Unternehmen, sei es nationale Handelsketten wie auch lokale Arbeitgeber, immer noch auf Praktiken zurückgreifen, bei denen Mitarbeiter, die ihre Streikbereitschaft ankündigen, um für Lohnerhöhungen und die Beibehaltung erworbener Rechte einzutreten, eingeschüchtert werden. Diese Methoden, obwohl sie die grundlegenden Rechte der Arbeitnehmer untergraben, seien bedauerlicherweise immer noch weit verbreitet.

Auch die Politik nimmt Piras in die Mangel: „Wie oft haben wir die Landesregierung aufgefordert, die Teilnahme an Ausschreibungen und die Auszahlung von Beiträgen an eine angemessene Entlohnung und lokale Kollektivverträge zu koppeln? Wir haben ein provinziales Lohnelement von 150 Euro brutto gefordert, welches als Kriterium bei Ausschreibungen und Beiträgen gelten sollte und die lokalen Tariflöhne von jenen auf nationaler Ebene abheben sollte. Bis dato hat die Politik nichts unternommen. Lieber als jene Unternehmen, die in Südtirol weiterhin nur nationale Tariflöhne zahlen, in die Pflicht zu nehmen, versucht die Landesregierung mit sozialen Leistungen aus Steuergeldern, die wiederum zu einem guten Teil aus den Taschen der Arbeitnehmer kommen, finanzielle Unterstützung an die lohnabhängige Bevölkerung zu geben“.

Was fehlt ist also eine gelebte Sozialpartnerschaft wie in Österreich, in der die Umverteilung des gemeinsam von Unternehmen und Arbeitnehmern erwirtschafteten Ertrages in angemessener Form erfolgt sowie eine Politik der ausgleichenden Hand seitens der Landesregierung.

Piras stimmt Tappeiner in dem Punkt zu, dass die Löhne nicht die hohe Inflation der letzten Jahre bewirkt haben, da die Preise enorm gestiegen sind, während die Löhne stagnierten. Die Theorie der sogenannten Lohn-Preis-Spirale ist somit widerlegt und überholt. Die realen Wirtschaftsdaten der letzten Jahre würden nämlich ein anderes Bild zeigen: Trotz Lohnstagnation seien die Preise durch die Decke geschossen. Arbeiter und Angestellte hätten in dieser Zeit einen massiven Kaufkraftverlust erlitten, der aufzufangen kaum gelingen wird. Praxis und Theorie würden manchmal halt doch divergieren. Entscheidend sei, dass alle Beteiligten – Gewerkschaften, Arbeitgeber und Politik – gemeinsam an Lösungen arbeiten, um faire und angemessene Löhne für alle Arbeitnehmer in Südtirol zu gewährleisten.

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